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Mit der Mandello in den Apennin und ein paar Gedanken von unterwegs


tgessner

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Ich bin ein Sporttourer-Typ. Geprägt in den 90er Jahren von einer VFR750 RC36 und seitdem erfolglos auf der Suche nach einer Maschine, die ihren Platz einnehmen könnte. Und es waren einige Versuche dabei: Eine Reiseenduro (nur dann toll, wenn man - wie etwa GS-Fahrer - auf Vorderrad-Feedback verzichten kann), eine neuere VFR RC79 (mit der Vtec-Fehlkonstruktion als Motor) und weitere Maschinen, die gekommen und wieder gegangen sind. Die einen konnten Sport, aber nicht Touren, bei anderen war es umgekehrt. 

Irgendwann wurde dann die V100 Mandello vorgestellt und es war, als hätte jemand bei Guzzi mit diesem Motorrad genau mich im Sinn gehabt. Bei der Markteinführung fand ich die Preisvorstellungen von Moto Guzzi etwas selbstbewusst, aber nachdem die Zeitschrift "Motorrad" die Maschine in Grund und Boden geschrieben und gepodcastet hatte und die Mandello scheinbar nur noch mit erheblichen Nachlässen zu verkaufen war, hatte dann auch meine Stunde geschlagen. 

Es wurde eine der letzten Euro-5 Mandello S Maschinen, die der Hersteller mit der Übergangsgenehmigung (für genau 100 Exemplare) nach der Einführung von Euro 5+ hier in Deutschland noch abverkaufen durfte. Vermutlich eine der günstigen Methoden, an ein Öhlins Smart EC 2.0 heranzukommen. Das restliche Motorrad gab es dann gratis dazu, könnte man ulken.

Wir sind schnell Freunde geworden, die Mandello und ich, bereits nach den ersten Kurven. Und weil mich die Kombination aus dem kräftigen Motor und dem semi-aktiven Fahrwerk begeisterte, ging es auch bereits vor der ersten Inspektion auf große Tour. Da ich schon ahnte, dass es dabei etwas mehr Kilometer werden könnten, spendierte ich der Mandello schon deutlich vor den ersten 1.500km frisches Öl.

Eigentlich hätte es keiner langen Tour bedurft, um mich von den Qualitäten der Maschine zu überzeugen; sie hat es aber dennoch getan: Das Navigationssystem führte mich sicher über kleinste Straßen  quer durch die Po-Ebene und sehr smart an einigen italienischen Großstädten vorbei. Das Fahrwerk spielte seine Stärken in der Bandbreite der italienischen Straßenverhältnisse voll aus. Die gelungene Ergonomie sorgte für lange und weitgehend ermüdungsfreie Etappen. Auf den kleinen Bergstraßen im Apennin zeigte die Maschine dann im Sportmodus ihr anderes, meiner Ansicht nach wahres Gesicht. Ach ja: In den Koffern waren Ausrüstung und Gepäck perfekt untergebracht. 

Meine erste Tour ging von München über die Sella und den Pordoi nach Belluno und von dort durch die Po-Ebene nach Castrocaro südlich von Forli.

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Dolomiten: Obligatorisches Sella-Foto mit der neuen Mandello.

Das war dann der Einstieg in die SS67 in Nord-Süd-Richtung durch den Apennin und weiter über Borgo San Lorenzo auf die bekannte SS65 wieder Richtung Bologna und Mantova. Von dort ging es dann wieder Richtung Norden nach München. Sowohl auf den Zwischenetappen als auch auf der Motorrad-Rennstrecke zwischen Florenz und Bologna hat die Mandello begeistert.

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Passo del Muraglione zwischen Castelcaro und Borgo San Lorenzo

Motorräder werden immer spezialisierter, was konsequenterweise bedeuten würde, dass man auf so einer Tour auch mehrere Motorräder dabei haben müsste. Was natürlich Quatsch ist. Die Mandello ist meiner Einschätzung nach eine gute Mischung, ohne dabei ein Kompromiss zu sein. Die Ausstattung ist so komplett, als hätte man bei BWW ein Kreuz in jedes Kästchen für Sonderausstattungen gemacht und ein Öhlins Smart EC 2.0 findet man in dieser Preisklasse sonst nirgendwo. Die Verarbeitung ist piekfein und das Motorrad ist schön anzuschauen - was in Anbetracht des grassierenden Sicken- und Kantendesigns einer Erwähnung wert ist.

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Blick über den Apennin vom Passo del Muraglione

Ist alles perfekt an der Mandello? Sicher nicht: Das Multimedia-System ist schwierig und teils nicht nachvollziehbar zu konfigurieren und die um sich greifende Gängelei mit penetranten Wartungshinweisen in Cockpit und App hat nun auch Guzzi erreicht. Gegen erstes hilft ausprobieren, bis es irgendwann klappt, gegen zweites ein eigener Diagnosecomputer wie etwa OBDstar iScan.

Ach ja, und dann ist da noch der Quickshifter. Ich habe ihn bislang kaum verwendet. Warum? Einerseits wegen eines gewissen technischen Verständnisses: Gut für das Getriebe sind die Dinger nicht, ganz besonders bei Motoren mit größeren Schwungmassen wie Zweizylindern. Mit etwas "Fußspitzengefühl" merkt man einem Schaltvorgang mit Quickshifter an, dass der wesentlich weniger sanft passiert als ein guter manueller Schaltvorgang. Was dann auch meinen zweiten Punkt erklärt: Mein Selbstverständnis als Fahrer. Schalten können ist für mich Teil der Fahrkunst. Und dann gibt es auch Spezialisten - zum Beispiel professionelle Motorradjournalisten, gern österreichischer Provenienz - die nicht wissen, was das Quickshifter-Symbol in organge im Display bedeutet (nämlich: Funktion nicht verfügbar zwischen den Gängen eins und zwei) und sich dann beschweren, warum der Quickshifter zwischen dem ersten und dem zweiten Gang so schwer geht. Aua. Ein derart malträtiertes Getriebe dürfte keine 10.000km überstehen. Das ist nicht Guzzi-spezifisch, sondern allein einem fehlenden mechanischen Verständnis des Fahrers geschuldet. 

Uns sonst so? Die starke Mitte des Motors suggerierte mir als Triple-Fahrer anfangs, dass da im oberen Drehzahlbereich eine zweite Stufe zünden würde. Ist aber nicht so: Hochdrehen bringt wenig, der Motor ist klar auf Midrange ausgelegt. Dort funktioniert er meiner Ansicht nach auch perfekt. Die optionale höhere Sitzbank macht die Ergonomie der Mandello für meine langen Gräten perfekt. Das Windschild produziert in hochgefahrenem Zustand für mich deutliche Windgeräusche, aber mit Gehörschutz passt die Sache dann auf Autobahnetappen wieder perfekt.

Die Mandello ergänzt meinen Fuhrpark aus alten Triumph-Triples, mit denen auf Tour zu gehen meine alten Knochen nicht mehr mögen, um eine fahraktive Tourenmaschine. Wer sich für den Rest meines Fuhrparks interessiert, findet eine Geschichte darüber bei Bikebound:

https://www.bikebound.com/2025/04/11/speed-triple-mk5/

 

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Moin Thomas,

Danke für Deinen Fahrbericht und mit der V100 Mandello im schönen Italien.

Ja, Du bestätigst eindrucksvoll, wofür die Mandello gebaut wurde und das man mit ihr viel Fahrfreude erleben kann.

Wünsche Dir weiterhin tolle Fahrten.

Gruß

Holger

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Wenn du mal wieder in der Ecke bist, fahre gerne noch einen Tucken weiter südlich ins Casentino rund um Poppi. Tolle Ecke, touristisch nicht überlaufen, entspannt und „echt“. Bisher dreimal da gewesen, zwar nicht mit dem Motorrad, aber trotzdem toll. 🤗

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Hallo Thomas,

sehr schöner Bericht. Und ich mag ja grüne V100S auch gerne ... 😉

Vor einigen Tagen habe ich mit meiner eine Mittelgebirgstour gemacht (Thüringer Wald, Harz und so ...) und kann das meiste Deiner Beschreibungen nachvollziehen. Außer fahren im Sport-Modus, das ist nicht so meins. 

Noch weiterhin viele gute Kilometer mit der schönen Dame und viele Grüße aus dem Speckgürtel von München,

Volker

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vor 3 Stunden schrieb Knolli Knollowitz:

Wenn du mal wieder in der Ecke bist, fahre gerne noch einen Tucken weiter südlich ins Casentino rund um Poppi. Tolle Ecke, touristisch nicht überlaufen, entspannt und „echt“. Bisher dreimal da gewesen, zwar nicht mit dem Motorrad, aber trotzdem toll. 🤗

Ja, kenne ich … Passo della Calla. Perfektes Revier ;)

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